Die Adolf-Nossberger-Hütte im Gradental, in den Österreichischen Alpen, liegt auf 2488 Meter und gehört zum Alpenverein Edelweiß. Die Versorgung mit Lebensmitteln ist nur per Helikopter möglich. Hier hat sich Christian Krüger (34 Jahre) seinen Traum erfüllt…
Die Adolf-Nossberger-Hütte im Gradental, in den Österreichischen Alpen, liegt auf 2488 Meter und gehört zum Alpenverein Edelweiß. Die Versorgung mit Lebensmitteln ist nur per Helikopter möglich. Hier hat sich Christian Krüger (31 Jahre), ein Deutscher mit amerikanischen Wurzeln, seinen Traum erfüllt: seit 2013 ist er Hüttenwirt, zum ersten Mal in seinem Leben, und das in hochalpiner Lage. Er genießt das Leben in der Hütte, und von Brot über Honig bis hin zum Likör stellt der gelernte Koch vieles selbst her. Das Leben am Gletscher, fernab der Zivilisation, macht ihn glücklich. Einsam ist er selten. Ein Tag auf der Hütte.
Es ist ein Samstag Anfang Juli, genauer gesagt fünf Uhr in der Früh, als Christian Krüger sich ein letztes Mal streckt und seinen Tag mit Meditation beginnt. Da sitzt er, eine Wollmütze auf dem Kopf, mit geschlossenen Augen, die Hände auf seinen Knien ruhend. Er genießt die Stille in den Bergen, besinnt sich auf den anstehenden Tag und sammelt Kraft. „Die erste und die letzte Stunde des Tages gehören mir, da meditiere ich“, sagt der Hüttenwirt.
Christian kommt ursprünglich aus Deutschland, aus Langenfeld, einer Kleinstadt bei Köln. Mit knapp 19 Jahren wanderte er wegen der Liebe nach Österreich aus, nach Lienz in Osttirol. Dort hat er eine Ausbildung zum Koch gemacht und hat anschließend lange Zeit als Küchenchef eines Restaurants gearbeitet. Bereits in seiner frühesten Kindheit hegte er eine ausgeprägte Liebe gegenüber den Bergen und der Natur. Im Sommer 2013 bot sich ihm durch die Pacht der Adolf-Nossberger-Hütte im Gradental die Möglichkeit, seinen Beruf als Koch und die Liebe zu den Bergen zu vereinen.
Nach der Meditation wird es recht schnell hektisch. Brot und Kuchen wollen gebacken werden, damit seine Gäste, Berg-Wanderer aus den verschiedensten Ländern Europas, ein gehaltvolles Frühstück bekommen. Die urige Küche der Alpenhütte ist etwa 15 Quadratmeter groß, und so ziemlich mit allem ausgestattet, was ein Koch braucht. An den Wänden hängen Töpfe und Pfannen und der große Holzofen ist der zentrale Punkt der Küche. Hier werden Brot, Kuchen und Torten gebacken, Obst eingemacht, Likör und Fichtennadel-Honig hergestellt. Jetzt, zu Beginn der Saison, ist die Speisekammer, die an die Küche angrenzt, noch randvoll mit Lebensmitteln und Bierfässern gefüllt. „Ich versuche viele meiner Produkte, wie zum Beispiel Speck, Käse, Topfen und Butter von regionalen Landwirten zu beziehen – dies liegt mir sehr am Herzen“, sagt Christian.
Der Jungwirt hat Mitte Juni, als er die Hütte geöffnet hat, die komplette Verpflegung für die nächsten Monate auf den Berg fliegen lassen. „Es gibt bei uns keine Seilbahn, deswegen muss alles mit dem Helikopter herauf geflogen werden“, erklärt er.
„Schnell mal etwas einkaufen kann ich nicht“
Aus diesem Grund müssen die Mengen der Lebensmittel zu Beginn der Saison genauestens kalkuliert werden, denn schnell einmal etwas einkaufen kann Christian Krüger nicht. „Wenn ich mich verrechne, dann komme ich am Ende der Saison nicht aus und kann meine Gäste nicht mehr bewirten“. Vorausschauendes Denken ist ein Muss, denn auf 2488 Metern muss man mit Ressourcen sparsam umgehen. „Wir haben nur wenig Strom, und kochen mit Gas und Holz“, erklärt Christian.
Die 1931 erbaute Adolf-Nossberger-Hütte am türkisblauen Großen Gradensee im Nationalpark Hohe Tauern ist von Juni bis September geöffnet und verfügt über rund 50 Schlafmöglichkeiten. Schlafen kann man in Vierbettzimmern oder im Lager, dort liegt dann Matratze an Matratze. „Da frierst‘ sicha net!“, sagt Christian und grinst.
Bereits vor Eröffnung der Hütte hat der junge Hüttenwirt hohe Kosten auf sich genommen, um die Lebensmittel für die viermonatige Saison vorzufinanzieren.“ 18 Mal musste der Helikopter vom Tal zur Hütte und zurück fliegen. Kostenfaktor für den Helikopter: rund 4000 Euro. Eine hohe Summe, die der Hüttenwirt wieder erwirtschaften muss. „Das Schlimmste, was mir passieren könnte, wäre ein kalter, verschneiter Sommer. Dann kommen keine Gäste und ich bleibe auf den Kosten sitzen“.
Zum Frühstück backt Christian Brot im Holzofen. Dazu gibt es selbstgemachte Marillenmarmelade, Berghonig und Tee aus selbst gesammelten Heilkräutern. Die Stimmung unter den Gästen ist entspannt und die rund 30 Wanderer sitzen nach dem Frühstück noch beieinander und diskutieren angeregt über Wanderrouten. Umgeben von 15 Dreitausendern bietet die Hütte einen idealen Ausgangspunkt für anspruchsvolle Wanderungen und Anstiege zu den umliegenden Gipfeln. Noch mehr aber beschäftigt man sich mit der aktuellen Wetterlage. Schneestürme im Hochsommer sind hier keine Seltenheit, und ein Wettersturz ist schnell da. Doch heute sind es angenehme 24 Grad auf dem Berg, während im Tal Rekordtemperaturen von knapp 39 Grad gemessen werden.
Zwei Mal pro Woche steigt Christian hinunter ins Tal, um frische Lebensmittel, wie Obst und Gemüse, einzukaufen. Der Abstieg dauert etwa zweieinhalb Stunden und ist mühsam. Oft kehrt er mit nicht weniger als 30 kg auf dem Rücken zurück auf die Hütte.
„Wenn man drei Monate auf engstem Raum lebt, bleibt nicht viel Platz für persönlichen Freiraum“
Nach dem das Frühstück hergerichtet ist, beginnt Christian auch gleich mit der Planung für das Mittagessen. Heute gibt es Schlipfkrapfen, eine Osttiroler Nudelspezialität. Gleichzeitig müssen die Gäste bewirtet werden, Betten gemacht und Reservierungsanfragen bearbeitet werden. Weil der Hüttenwirt das unmöglich ohne fremde Hilfe schafft, hat er zwei Angestellte, Anna und Christoph. Beide studieren in Deutschland und suchen in ihren Semesterferien den Ausgleich zu ihrem Studium. „Mir war wichtig, einmal raus zu kommen und die Berge und die Natur genießen zu können“, erzählt Anna. Christoph geht es ähnlich. Für den gebürtigen Hamburger ist es die erste Saison auf einer Alpenhütte. Er mag die Arbeit auf der Hütte, auch wenn er sich manchmal einen Rückzugsort wünscht. „Wenn man drei Monate auf engstem Raum lebt, bleibt nicht viel Platz für persönlichen Freiraum“.
Es ist Nachmittag, und es kommen immer mehr Wanderer. Auf einem Tisch vor dem Eingang der Adolf-Nossberger-Hütte steht jetzt ein duftender Apfelkuchen neben einem Topfenstrudel. Beide Kuchen hat Christian gleich nach dem Frühstück gebacken. In dem türkisblauen Gradensee vor der Hütte erfrischen sich zwei Männer und genießen die Ruhe. Die beiden Angestellten, Anna und Christoph, übernehmen jetzt die Bewirtung der Gäste. Jetzt hat Christian kurz Zeit zu entspannen, bevor er sich um die Zubereitung des Abendessens kümmern muss. „Jetzt ist Powernapping angesagt“, erklärt er, lacht und zieht sich in sein Zelt zurück.
Nach einem kurzen Mittagsschlaf muss dann alles sehr schnell gehen. Gegen 17 Uhr steht Christian mit hochrotem Kopf in der Küche und kocht. 45 Essen müssen heute herausgegeben werden und das möglichst schnell. Keine leichte Aufgabe. Ohne Anna und Christoph, die sich parallel um den Getränkeausschank kümmern, funktioniert jetzt nichts mehr. Ein Bier nach dem anderen wird ausgeschenkt und dazwischen gibt es immer wieder eine Runde Zirbenschnaps, natürlich selbstgemacht. „Die Zirbelkiefer wächst etwas unterhalb der Hütte, nahe der Baumgrenze“, erklärt Christian. Nach dem Kochen nimmt er sich Zeit für seine Gäste; Geselligkeit ist eine Voraussetzung für jeden erfolgreichen Wirt. Die Wanderer berichten von ihren Erlebnissen am Tage und Christian gibt ihnen weitere Tipps für mögliche Wanderrouten.
„Neue Herausforderungen beflügeln mich“
Um 22 Uhr hat Christian dann frei. Es werden keine Getränke mehr ausgeschenkt und die Gäste beziehen ihr Nachtlager. Der Hüttenwirt zieht sich nach erledigter Büroarbeit in sein Zelt zurück, das rund 100 Meter abseits der Adolf-Nossberger-Hütte steht, um den Tag mit Meditation ausklingen zu lassen. Nur hier hat er absolute Ruhe. Danach erst genießt er die Nachtruhe in seinem kleinen privaten Zimmer. Das Leben am Gletscher macht ihn glücklich, auch wenn es oft sehr anstrengend und hart ist. Sich selbst sieht er als Perfektionist. „Natürlich hatte ich im Vorfeld manchmal Bedenken, ob ich den Job hier oben auf dem Gletscher schaffe, doch wenn ich mir etwas in den Kopf setze, ziehe ich es auch durch. Neue Herausforderungen beflügeln mich!“ Vor drei Jahren war er zum ersten Mal als Gast auf der Adolf-Nossberger-Hütte. Als er dann erfuhr, dass ein neuer Pächter gesucht wurde, bewarb er sich beim Alpenverein Edelweiß, dem Eigentümer der Hütte, und bekam aufgrund seiner Erfahrung als Küchenchef schnell eine Zusage.
„Ich will mein Leben in vollen Zügen genießen und nichts tun müssen, was mir andere vorschreiben“
Einsam ist er ganz selten. Man könne allein sein, ohne einsam zu sein, sagt er. „Ich weiß ja, dass ich nur für vier Monate hier oben bin. Viele meiner Freunde besuchen mich hier oben“, sagt Christian während er in seinen Schlafsack krabbelt. Als Aussteiger würde er sich nur bedingt bezeichnen. „Wenn ein Aussteiger jemand ist, der nicht in der Zivilisation leben will, dann trifft das nicht auf mich zu. Ich genieße es einfach, für ein paar Monate im Jahr den Naturgewalten hier oben ausgesetzt zu sein. Ich bin ein freiheitsliebender Mensch und will mein Leben in vollen Zügen genießen, und nichts tun, was mir andere vorschreiben“. Christian lacht: „Natürlich nur, soweit es mir erlaubt ist!“
Vor ihm liegen noch etwa 75 arbeitsreiche Tage, bis er die Hütte dann Mitte September schließen wird, je nach Wetterlage auch etwas später. Was danach kommt, weiß er noch nicht genau. Es ist diese Ungewissheit, die er liebt und braucht. Erst einmal zieht es ihn nach Skandinavien, nach Norwegen, wo er ein paar Wochen wandern gehen möchte. „Ab Dezember werde ich dann wahrscheinlich bei einem befreundeten Hüttenwirt auf einer Skihütte aushelfen.
Nächsten Sommer bin ich dann wieder Hüttenwirt auf der Adolf-Nossberger-Hütte“.
Fotocredits: (c) Adolf-Nossberger-Hütte